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Liebe Leserin, lieber Leser,

die bundesweiten Demonstrationen zur Verteidigung unserer Demokratie haben eines gezeigt: Es gibt zwar einerseits viel Streit und zu etlichen Themen eine gesellschaftliche Spaltung in Deutschland, aber gleichzeitig auch weiterhin tragfähige gemeinsame Überzeugungen – und zumindest in Sachen Toleranz, offene Gesellschaft, Liberalität und Demokratie Millionen von Menschen, die bereit sind, für solche Werte auf die Straße zu gehen. Um spezifische „Meinungen“ geht es in dieser Auseinandersetzung eigentlich weniger, stattdessen mehr um Haltungen und Lebensentwürfe.

Mir haben diese Ereignisse Mut gemacht und gezeigt: Es ist immer auch eine Frage, worauf wir uns fokussieren. Die vielen als typisch deutsch erscheinende, pessimistische Weltsicht mit Jammern und Klagen bringt uns nicht weiter. Für den anstehenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Transformationsprozess, der etlichen Menschen Angst macht, braucht es eine positive Grundhaltung, die uns motiviert und handlungsfähig bleiben lässt. Es braucht auch in der Kommunikation über die Probleme einen „gesunden Realismus“, der nichts beschönigt oder verschweigt.

Das gilt gleichermaßen für die Fahrradbranche: Zwar läuft aktuell tatsächlich nicht alles rund – weder politisch noch ökonomisch. Dennoch bleiben Fahrräder und Pedelecs weiterhin gefragt und die anstehende Jahreszeit steht für Aufbruch und Frühlingsgefühle. Dies soll auch das Leitmotiv sein für diesen Newsletter – ohne jede Schönfärberei.

Ihr
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Albert Herresthal
Informationsdienst Fahrradwirtschaft
Die Themen dieser Ausgabe:
  1. Krieg um Gaza: Nahostkonflikt erreicht Fahrradbranche
  2. Neue Branchendaten: So lief 2023 in der Industrie
  3. Aktuelle Umfragen: Umsatzentwicklung und Trends im Fachhandel
  4. Geplantes Bundeswaldgesetz: Radfahren im Wald künftig verboten?
  5. Börsenwerte 2023: Fahrradbörse besser als befürchtet
  6. Produktionsstandort Europa: Spanien stark beim Fahrradexport
  7. IFW exklusiv: 3 Fragen an ... Claus Fleischer
  8. Kurzmeldungen
  9. Termine
Frachter

Krieg um Gaza:
Nahostkonflikt erreicht Fahrradbranche

Zwar sind die Störungen der Lieferketten noch keineswegs vergleichbar mit denen in der Corona-Krise, aber manches erinnert ein wenig daran. Die fortgesetzten Angriffe der Huthi-Rebellen mit Marschflugkörpern und Raketen auf Handelsschiffe im Golf von Aden und im Roten Meer führen dazu, dass die meisten Containerschiffe aus Asien auf ihrem Weg nach Europa das Gebiet meiden und den rund 6.500 Kilometer längeren Weg um die Südspitze Afrikas wählen. Das führt zu erheblichen Zeitverzögerungen in einer Größenordnung von zwei Wochen. Auch das Eingreifen US-amerikanischen und britischen Militärs konnte bisher nicht für mehr Sicherheit sorgen. 

Schiffe, die das Risiko eingehen und die kürzere Route durch den Suez-Kanal nehmen, müssen hohe Risikoaufschläge an die Versicherungen bezahlen. So haben sich die Preise für Containertransporte aktuell verdoppelt bis verdreifacht. Benötigte Ware aus Asien kommt also vielfach später in den europäischen Fahrradfabriken und Vertriebszentren an. In beiden Fällen sind Preiserhöhungen die Folge. Über kurz oder lang ist zu erwarten, dass die Kostensteigerungen auf die Verbraucherpreise umgelegt werden, wenn auch in begrenztem Rahmen, weil Frachtkosten nur einen sehr kleinen Teil der Produktkosten ausmachen. Ein kleiner Trost: Die Verteuerungen haben bei weitem noch nicht die Rekordwerte aus der Corona-Zeit erreicht. Ein Ende der Probleme ist aktuell nicht abzusehen, weil die Spannungen in Nahost andauern. 
Industrie 2023 (Archiv-Foto: Eurobike)





Neue Branchendaten:
So lief 2023 in der Industrie

Heute, am 13. März, veröffentlichte der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) die Branchendaten des vergangenen Jahres. Bei den Zahlen zeigt sich, dass das allgemein negative Konsumklima sich nur teilweise auf die Fahrradbranche ausgewirkt hat. Fahrradproduktion und Verkäufe blieben auch 2023 auf hohem Niveau.

Erstmals wurden im vergangenen Jahr mehr E-Bikes als Fahrräder verkauft, und zwar im Verhältnis von 53:47. Im Jahr 2022 war es noch umgekehrt. Seinerzeit waren 52% aller verkauften Fahrräder unmotorisiert. Damit setzt sich der E-Bike-Boom in Deutschland fort. Der ZIV erwartet, dass der E-Bike-Anteil auch in Zukunft weiter wächst. 

Bei Fahrrädern und E-Bikes ist Qualität gefragt: Der Verkaufswert der 2023 verkauften Fahrräder und E-Bikes liegt insgesamt bei 7,06 Milliarden Euro. Das ist der zweithöchste, jemals festgestellte Wert und nur ein leichter Rückgang zum Vorjahr (7,36 Mrd. Euro). Der durchschnittliche Verkaufspreis für ein E-Bike (über alle Verkaufskanäle und über alle Modellvarianten, einschließlich hochpreisiger Lastenfahrräder) stieg von 2.800 Euro auf die Rekordmarke von 2.950 Euro. Hingegen gingen die Durchschnittspreise für unmotorisierte Fahrräder (einschließlich Kinderräder) von 500 Euro auf 470 Euro leicht zurück. Auch dies ist der zweithöchste jemals festgestellte Wert. 

Insgesamt wurden 2023 in Deutschland 4 Millionen Fahrräder und E-Bikes verkauft. Diese Größenordnung entspricht knapp den Verkäufen vor den Corona-Jahren (2017-2019: 3,9 bis 4,3 Mio. Stück), ist gegenüber dem Vorjahr (4,6 Mio. Fahrräder und E-Bikes) jedoch ein deutlicher Rückgang. Besonders populär waren bei den Fahrrädern 2023 Trekkingbikes und bei den E-Bikes E-MTBs. Bemerkenswert: 9% aller verkauften E-Bikes waren Lastenfahrräder.

Bei den Vertriebskanälen konnte der Fachhandel seine dominierende Position weiter ausbauen: 74% der Fahrzeuge wurden im stationären Fachhandel gekauft (+1%) und 3% über Fachhandels-Internetshops. Reine Internetversender kommen auf 22% (ebenfalls +1%). Baumärkte und andere fachfremde Anbieter machen insgesamt nur noch 1% des Marktes aus.

Als Fazit der aktuellen Branchendaten zeigt sich Burkhard Stork, Geschäftsführer des ZIV optimistisch. Stork erwartet angesichts weiter steigender Lebenshaltungskosten und einem wachsenden Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein weitere Impulse für den Markt. Zugleich appelliert er an die Politik, das Potenzial des Fahrrads endlich voll zu erkennen und eine entsprechende Politik zu machen.

Fachhandel (Foto: Rose Bikes)

Aktuelle Umfragen:
Umsatzentwicklung und Trends im Fachhandel

Die inflations- und konjunkturbedingten Probleme des vergangenen Jahres schlagen sich im Fachhandel besonders zeitnah nieder, weil das veränderte Verhalten von Verbraucher*innen schnell durchschlägt. Das Fachmagazin SAZbike hat dazu aufschlussreiche Zahlen veröffentlicht. So berichten 44% der Händler*innen über rückläufige Umsätze und 43,5% über eine schlechtere Ertragslage. Das dokumentiert gegenüber dem bereits sehr schwierigen Jahr 2022 nochmals eine Zuspitzung der kritischen Lage.

Auffällig sind hier auch die Größenordnungen der Umsatzrückgänge. Bei 24,5% der Befragten lagen diese teilweise deutlich oberhalb von 15%. Allerdings gibt es auch Geschäfte, die ein Umsatzplus melden, die meisten bis 5% bzw. 10%. Angesichts der Inflation 2023 entsprechen Zuwächse von 5% allerdings eher einer Stagnation. Das wob-Fachhandelsbarometer berichtet für das Gesamtjahr 2023 von einem Umsatzrückgang in Höhe von 4%. Von diesem negativen Trend waren kleinere Läden etwas stärker betroffen als größere. Bei der Frage nach den Perspektiven für 2024 überwiegen die skeptischen Stimmen.

Der größte Umsatzanteil wurde 2023 nach der SAZbike-Umfrage durch E-Bikes generiert (41,8%). Es folgten die Erlöse aus der Werkstatt (24,5% - Anteil deutlich steigend) sowie aus dem Verkauf von Fahrrädern ohne E-Antrieb (14,8% - Anteil stark fallend). Der Blick auf die Stückzahlen verkaufter Räder zeigt, dass E-Bikes mit 64,4% auch hier dominieren, gefolgt von Fahrrädern ohne E-Antrieb (35,6%). Die steigende Tendenz der letzten Jahre bei E-Bikes hat sich also fortgesetzt. Weitgehende Kontinuität gibt es hingegen bei der Umsatzverteilung im Hinblick auf die verschiedenen Fahrradtypen: Trekkingräder und MTBs liegen hier vorn, gefolgt von Citybikes. Bei den Fahrrädern sind Gravelbikes (12,4%) und Kinderräder (10,7%) sowie Rennräder (7,6%) wichtige Segmente. Transporträder sind vor allem als E-Bikes populär und erreichen hier einen Umsatzanteil von 4,4%. Rund 44% aller Verkäufe von Fahrrädern und E-Bikes werden per Leasing abgeschlossen.

Bei den Antriebssystemen sind vor allem E-Bikes mit Mittelmotor populär. Dagegen führen Räder mit Heckantrieb oder insbesondere Frontmotor ein Schattendasein. Transporträder (Durchschnittspreis: 5.218 Euro) führen die Preisstatistik klar an, gefolgt von E-MTBs (4.152 Euro). E-Trekkingräder liegen durchschnittlich bei 3.623 Euro. E-Cityräder liegen mit 3.142 Euro etwas darunter. Bei den unmotorisierten Fahrrädern liegen Rennräder mit 2.795 Euro preislich an der Spitze. MTBs kosten durchschnittlich 1.413 Euro, Trekkingräder liegen bei 1.082 Euro und Cityräder bei 822 Euro. Das preisliche Schlusslicht bilden Kinder- und Jugendräder mit einem Verkaufspreis von 444 Euro. Alle Preise einschließlich Mehrwertsteuer.

Radfahren im Wald





Geplantes Bundeswaldgesetz:
Radfahren im Wald künftig verboten?

Es klingt wie ein schlechter Scherz, ist aber ein reales Szenario: Der zwar noch nicht offizielle, aber bereits bekannt gewordene Entwurf zur Reform des Bundeswaldgesetzes (BWaldG) enthält Passagen, die das Zugangsrecht zum Wald für Radfahrende einschränken könnten – und das hätte nicht nur für den Radtourismus und für Mountainbiker*innen massive Konsequenzen. Auch Radstrecken des Alltags- und Pendlerverkehrs tangieren oft Waldgebiete. Somit berührt das Thema die Verkehrswende insgesamt.

Dass ein 50 Jahre altes Gesetz den über die Zeit veränderten Rahmenbedingungen (Klimawandel, Artenschutz u.a.) angepasst werden muss, ist zunächst einmal ein normaler Vorgang. Besonders kritisch werden allerdings Teile des neuen § 29 gesehen, durch den die Länder das Recht erhalten sollen, generelle Einschränkungen des Betretungsrechts vorzunehmen. Radfahren soll – wenn überhaupt – nur noch auf dafür „geeigneten Wegen“ erlaubt sein. Doch wer definiert das? Und wie steht es um die Kennzeichnung der Wege?

Für den Zweirad Industrie Verband (ZIV) waren die drohenden Beschränkungen Grund genug, die Zusammenarbeit mit der Deutschen Initiative Mountainbike (DIMB) und dem Mountainbike Tourismusforum Deutschland innerhalb der Initiative „Bike Nature Movement“ zu intensivieren. Immerhin gibt es hierzulande 3,82 Millionen MTBer*innen und Einschränkungen des Betretungsrechts des Waldes würden etliche Tourismusregionen wirtschaftlich hart treffen. Am 16. Januar dieses Jahres fand in Berlin ein Parlamentarischer Abend statt, bei dem die anwesenden Politiker auf die drohenden Einschränkungen hingewiesen und für die daraus entstehenden Probleme sensibilisiert wurden. Die Federführung der Reform liegt beim Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL). Zwischenzeitlich haben sich auch ein Bündnis von Naturschutzverbänden und der Bundesverband der Sportartikel Industrie (BSI) gegen Einschränkungen beim Betretungsrecht zu Wort gemeldet. Es gibt also durchaus noch Möglichkeiten, durch Überzeugungsarbeit auf einen praktikablen Reformvorschlag des Ministeriums hinzuwirken. (weitere Infos)

Zum Thema siehe auch: „3 Fragen an … Claus Fleischer“, weiter unten in diesem Newsletter.

Börsenwerte

Börsenwerte 2023:
Fahrradbörse besser als befürchtet

Man sagt ja so schön, dass an der Börse „Zukunft gehandelt“ wird. So gesehen ist es wenig überraschend, dass es nach einem desaströsen Börsenjahr 2022 im letzten Jahr wieder besser lief. Das gilt für den DAX als Ganzes (+20%), aber auch für viele Fahrradwerte. Wie der Börsenexperte und Fachjournalist Jo Beckendorf im Magazin RadMarkt schreibt, konnten sich 17 der insgesamt 42 Fahrrad-Werte verbessern, während 25 Werte eine negative Entwicklung nahmen.

Völlig rausgefallen aus der Fahrradbörse ist zum Ende des Jahres 2023 die Muttergesellschaft des bekannten Online-Vertreibers „fahrrad.de“. Dieser gehörte zur Signa Sports United (SSU) des österreichischen Milliardärs René Benko, die Insolvenz anmelden musste. Wenig überraschend ist auch der tiefe Börsenabsturz des E-Commerce Fahrradhändlers „Bike24“ (Minus 60%). Doch hier gab es zuletzt wieder eine Konsolidierung. Dennoch: Dass zwei bekannte Online-Anbieter dermaßen Federn lassen mussten, ist erstmal ungewohnt, hatten viele doch geglaubt, der ungebremste Aufstieg des Onlinehandels wäre sozusagen ein „Naturgesetz“. Dem ist offenkundig nicht so.

Zu den Gewinnern an der Fahrradbörse gehören u.a. der japanische Felgenhersteller Araya (Plus 43,9%), die Reifenhersteller Continental (Plus 35,5%) und Vee Rubber (Plus 32,4%). Doch die Gründe dafür sind individuell: So half Araya in maßgeblichem Umfang der niedrige Yen-Kurs, der japanische Produkte auf dem Weltmarkt verbilligte. Conti und Vee Rubber profitierten mehr vom Geschäft mit Automotive-Produkten als von Fahrradreifen.

Grundsätzliche Probleme, die die Fahrradbörse auch 2024 ein Stück weit überschatten dürften, sind die Themen Zinsentwicklung, Inflation und Kaufzurückhaltung sowie die immer noch nicht ausgestandenen Lagerüberhänge. Auf der Haben-Seite kann die Branche jedoch darauf vertrauen, dass sie ein Zukunftsprodukt anbietet, das absolut in unsere Zeit passt und seine ganz große Zeit vielleicht sogar noch vor sich hat. (weitere Infos)

Verhaltenen Optimismus für Deutschland zeigt auch das noch junge Branchenbarometer des Forschungsinstituts T3 und velobiz.de: Aktuell sprechen nur 10% der Unternehmen von einer guten Geschäftslage. 48% bezeichnen sie als schlecht. Doch die Erwartungen für die Zukunft in sechs Monaten deuten in eine andere Richtung. Hier gehen 43% von einer guten bzw. eher günstigen Geschäftslage aus. Nur noch knapp 21% bleiben pessimistisch.
Kommunale Leihfahrräder in Cordoba/Andalusien





Produktionsstandort Europa:
Spanien stark beim Fahrradexport

Spätestens seit den gravierenden Unterbrechungen der Lieferketten aus Asien in der Corona-Zeit ist das Bewusstsein für die Abhängigkeiten des deutschen und europäischen Marktes stark angewachsen. Aktuell stammen 52% der deutschen Fahrradimporte (ohne E-Bikes) aus Asien. Diese Quote wird nach Einschätzung von Experten auch weiterhin hoch bleiben – und sie ist bei Fahrradkomponenten nochmals höher. Zugleich rücken europäische Standorte zunehmend in den Fokus. Neben Osteuropa gibt es auf der Iberischen Halbinsel eine dynamische Entwicklung, vor allem im vergleichsweisen kleinen Portugal. Doch auch Spanien hat hier einiges zu bieten, gleichwohl sind die Zahlen zurzeit recht gering.

Der Gesamtumsatz 2023 im spanischen Fahrradverkauf liegt laut Statista bei 1,62 Milliarden Euro. 2022 wurden rund 1,4 Millionen Fahrräder verkauft. Der E-Bike-Anteil an den Gesamtverkäufen betrug 17,4%, befindet sich aktuell also noch auf niedrigem Niveau. 

Nach den zuletzt vorliegenden Zahlen von Eurostat 2022 wurden knapp eine halbe Million Fahrräder im Land hergestellt. Damit liegt Spanien als Produktionsland europaweit an siebter Stelle. Führend sind Portugal (2,7 Mio.), Rumänien (2,6 Mio.), Italien (2,5 Mio.) und Deutschland (1,7 Mio. Stück). Der Export spanischer Fahrräder nimmt in den letzten Jahren allerdings deutlich zu. (Weitere Prognosen) Spanische Fahrradmarken, die auch hierzulande eine gewisse Bekanntheit haben, sind z.B. Orbea und BH.

Besonders stark ist die spanische Fahrradindustrie im sportlichen Bereich, wo hingegen „Alltags-Fahrräder“ noch hinterherhinken. Das hat historische Gründe und auch wohnungsbauliche – spanische Städte sind oft sehr verdichtet, die Nahversorgung ist meist gut, die Wege sind kurz, daher wird meist zu Fuß gegangen. Aus deutscher Sicht ungewohnt: Trotz aktuell noch geringer Fahrradnutzung, vor allem im Süden des Landes, gibt es in vielen spanischen Städten eine gute Radverkehrsinfrastruktur mit vom Kfz-Verkehr getrennten Radwegen, teilweise mit finanzieller EU-Förderung. Auch kommunale Verleihsysteme sind weit verbreitet. Die Philosophie spanischer Verkehrspolitik lautet vielerorts: Es wird eine gute Radverkehrsinfrastruktur geschaffen und das Radfahren gefördert. Erstaunlich ist übrigens auch ein hoher Verkehrsanteil von privaten E-Scootern auf den Radwegen.

Informationsdienst Fahrradwirtschaft exklusiv:

3 Fragen an ...

Claus Fleischer
Claus Fleischer ist seit 2012 CEO von Bosch eBike Systems und Vorstandsmitglied im Zweirad Industrie Verband. Zudem ist Bosch eBike Systems Fördermitglied im Parlamentskreis Fahrrad des Landes Baden-Württemberg.
IFW: Warum hat die Möglichkeit, auch im Wald Fahrrad zu fahren so eine große Bedeutung für die Branche?

CF: Deutschland ist ein Fahrradland: Von den 77 Prozent der Menschen, die in Deutschland Rad fahren, begeistern sich über 16 Millionen für das Mountainbiken. Das Fahrradfahren auf naturnahen Wegen hat also eine wichtige gesellschaftliche Bedeutung. Es fördert die Gesundheit, die Erholung und führt zu mehr Naturverständnis durch Naturerlebnis. Aber Deutschland ist auch in wirtschaftlicher Hinsicht ein Fahrradland: In Industrie, Handel, Tourismus und Dienstleistungen rund um das Rad sind mehr Menschen beschäftigt als in der Bahnwirtschaft. Hier produzieren namhafte Hersteller und Komponentenanbieter, und der Beitrag von Radfahrenden an der Wertschöpfung im Tourismus ist signifikant. Wenn uns das Fahrrad als nachhaltiges und gesundes Verkehrsmittel, als Treiber der Mobilitätswende und als Wirtschaftsfaktor wichtig ist, muss das bereits bestehende Wegenetz in Wald und Natur weiterhin offenstehen. Darüber hinaus sollte es bei Bedarf auch gezielte Angebote geben, um das Radfahren attraktiv zu machen – und keine Verbote, die Radfahrende aus bestimmten Gebieten ausschließen.

IFW: Was befürchtet der Zweirad Industrie Verband (ZIV) konkret, wenn die Reform des Bundeswaldgesetzes so umgesetzt wird wie im Referentenentwurf vorgesehen?

CF: Wenn der durchgestochene Referentenentwurf so durchginge, würde dies die Bewegungsfreiheit und Erholung im Wald für Radfahrende stark einschränken. Auch für Pendler*innen, die auf dem Weg zur Arbeit Freizeitwege nutzen. Zudem würde eines der Hauptziele – die bundeseinheitliche Regelung – damit nicht erfüllt, denn der Entwurf sieht vor, dass die Länder das Betretungsrecht selbständig weiter einschränken dürfen. Das würde zur weiteren Zerfaserung des schon existierenden Flickenteppichs führen, und örtliche Genehmigungsverfahren weiter erschweren.
Ziel eines modernen Waldgesetzes sollte es sein, ein pragmatisches, realitätsnahes und vor allem bundeseinheitliches Betretungsrecht zu formulieren. Ein Gesetz, das den Erholungsnutzen und damit die Förderung von Aktivitäten, Sport und Gesundheit aktiv will, und nicht künstlich einschränkt. Die Förderung des Fahrrads darf nicht am Waldrand enden, wenn das Fahrrad ein Baustein einer nachhaltigen Mobilitätswende und einer aktiven, gesunden Gesellschaft sein soll. Denn wer in der Freizeit Fahrrad fährt, tut dies vermehrt auch im Alltag und umgekehrt.

IFW: Der ZIV hat zusammen mit der Deutschen Mountain Bike Initiative (DIMB) und dem Mountain Bike Forum Deutschland die Initiative „Bike Nature Movement“ ins Leben gerufen. Welche Ziele verfolgt die Bewegung über die Anpassung des geplanten Gesetzes hinaus?

CF: In Deutschland gibt es mehr aktive Mountainbikende als aktiv Fußballspielende. Das Ziel des Bike Nature Movement ist es, eine gemeinsame starke und kompetente Stimme für das Mountainbiken zu schaffen und dem Radfahren im Wald und in der freien Natur mehr Sichtbarkeit und politisches Gewicht auf deutscher und europäischer Ebene zu verleihen. Dem BNM geht es also zum einen um die Sicherung der rechtlichen Grundlagen für das Radfahren in der freien Natur durch Dialog und Aufklärung. Zudem soll es auch das Mountainbiken als Hobby, das alle gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen begeistert, stärker sichtbar machen. Darüber hinaus fördert das BNM die Entstehung von mehr und vor allem besseren Angeboten für Biker*innen durch Vereine, Kommunen und Tourismus.

Kurzmeldungen

Kirstin Zeidler
Kopf des Monats
Kirstin Zeidler ist die neue Leiterin der Unfallforschung der Deutschen Versicherer (GDV). Sie hat am 1. Februar die Nachfolge von Siegfried Brockmann angetreten, der in den Ruhestand geht. Brockmann hat in seiner langjährigen Tätigkeit die Unfallforschung des GDV zu einer starken Stimme im Diskurs um eine gute und sichere Radverkehrsinfrastruktur gemacht. Kirstin Zeidler ist seit 2010 beim GDV. Die Betriebswirtin gilt als Kommunikationsexpertin und war zuvor u.a. in der Versicherungswirtschaft und beim ADAC beschäftigt.
Auf dem Lande unterwegs
Brandenburg jetzt mit Mobilitätsgesetz
Der Landtag von Brandenburg hat am 25. Januar 2024 ein Mobilitätsgesetz des Landes Brandenburg (BbgMobG) beschlossen. Zuvor hatte die Volksinitiative „Verkehrswende jetzt“ 25.000 Unterschriften gesammelt. Es folgten Gespräche und Verhandlungen mit der Landesregierung aus SPD, CDU und Grünen. Mit dem Mobilitätsgesetz bekennt sich das Land Brandenburg zur Vision Zero und will den Bedürfnissen und Fähigkeiten von Kindern und mobilitätseingeschränkten Menschen mehr Aufmerksamkeit geben. Bemerkenswert: Der Sicherheit ungeschützter Verkehrsteilnehmenden wird in dem Gesetz Vorrang eingeräumt vor der Flüssigkeit des Verkehrs. Bis 2030 sollen ÖPNV, Rad- und Fußverkehr einen Anteil von 60% am Gesamtverkehr haben.
Radfahren für Freiheit und Demokratie
Zahl des Monats
Soeben gab die Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft (ZEG) ihre Umsatzzahlen für das Jahr 2023 bekannt. Der Gesamtumsatz der Gruppe lag bei 2,3 Milliarden Euro. Zur ZEG gehören Europaweit mehr als 1.000 Unternehmen des Fahrradhandels, aber auch bekannte Fahrradmarken wie Kettler, Hercules, Pegasus, Bulls oder Flyer. Mit der Firma Eurorad ist die ZEG am Fahrradleasing beteiligt. Die ZEG sieht sich jedoch ebenso in gesellschaftlicher Verantwortung und plant für das kommende Frühjahr in Deutschland Fahrrad-Aktionen „Für Freiheit und Demokratie“.
Bild des Monats
Bild des Monats: Auch Deutschland kann Leuchtturm! Endlich mal geklotzt statt gekleckert. Dieser „Biketower“ bietet sicheren Platz für 244 Fahrräder am Bahnhof von Hannover-Wunstorf. Die vollautomatische Fahrrad-Parkanlage ist 11,8 m hoch und hat acht Ebenen für die verschiedensten Räder mit einer Lenkerbreite bis zu 76 cm. Jeder Parkvorgang dauert gut 30 Sekunden. Die Nutzung bis zu drei Tagen ist bei Nutzung der App kostenlos.

Termine

  • In Düsseldorf findet vom 15. bis 17. März die „Cyclingworld Europe“ statt, nach eigenem Verständnis eine Messe für „feinste Radkultur“ mit umfangreichem Rahmenprogramm. 

  • Dass Berlin u.a. für Fahrradkult steht, soll vom 22. bis 24. März erneut im „Motorwerk“ bei Weißensee mit der „Kolektif Berlin“ unter Beweis gestellt werden. 
     
  • Zentral auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof ist seit 2018 die „VeloBerlin – Das Fahrradfestival“ zu Hause. Vom 13. bis 14 April werden wieder rund 20.000 Besucher*innen erwartet.

  • Vom 19. bis 21. April findet mitten in der Dortmunder Innenstadt das E-Bike-Festival 2024 statt.
  • Die erste der zwei Sitzungswochen läuft zurzeit, weiter geht es dann nach der Osterpause ab dem 8. April. Die aktuelle Sitzung des Bundesrats ist am 22. März, danach wieder am 26. April. Die Ausschüsse des Bundesrats tagen in KW 15.

  • Der nächste Newsletter Fahrradwirtschaft Insight erscheint am 23. April.

Team Fahrradwirtschaft Insight

Team Fahrradwirtschaft Insight
Herausgeber des Newsletters ist Albert Herresthal. Durch seine langjährige Tätigkeit als Geschäftsführer des Verbund Service und Fahrrad (VSF e.V.) ist er mit den relevanten Köpfen aus Politik, Verwaltung und Fahrradwirtschaft bestens verbunden. Er ist für das Konzept und die inhaltliche Ausgestaltung verantwortlich.

Auch Hendrikje Lučić (Mitte) verfügt über langjährige Erfahrung in der politischen Arbeit. Seit 2021 verantwortet sie die Politische Interessenvertretung beim Bundesverband der Deutschen Sportartikel-Industrie (BSI). Sie ist für die inhaltliche und strategische Ausgestaltung des Newsletters mitverantwortlich.

Anne Kreidel ist Fundraiserin und hat lange im Marketing und in der Öffentlichkeitsarbeit gearbeitet. Sie ist in Unternehmen, in Fahrrad- und Kulturorganisationen tätig. Im Team Fahrradwirtschaft Insight übernimmt sie die Umsetzung und den Versand des Newsletters.
Fotonachweise in der abgebildeten Reihenfolge: 1.Ian Taylor / Unsplash, 2. pd-f / Eurobike , 3. Rose Bikes, 4. pd-f / Arne Bischoff, 5. Eurostat, 6. Herresthal, 7. Bosch eBike Systems, 8. GDV, 9. pd-f / Velotraum, 10. ZEG, 11. Region Hannover, 12. Teamfoto: Antonia Richter
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