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Liebe Leserin, lieber Leser,

es gibt sie noch, die guten Nachrichten! Direkt nachdem das Statistische Bundesamt die erschreckenden Unfallzahlen 2023 veröffentlicht hatte – siehe Meldung unten – zeigt die Stadt Lyon, was gegen Leid und Tod helfen kann: Tempo 30. Zwei Jahre nach der Einführung des städtischen Tempolimits zieht die Stadt Bilanz. Das wichtigste Ergebnis: Die Unfallzahlen gingen um 35% zurück. Die Anzahl der schweren Unfälle mit Toten und Schwerverletzten sank sogar um 39%. Zurecht sagt der Bürgermeister: „Wir haben Leben gerettet“.

Solch gute Nachrichten sind auch für Deutschland möglich. Wir berichten in diesem Newsletter über eine Studie im Auftrag des Verkehrsministeriums von Baden-Württemberg. Die zeigt konkret, mit welchen Maßnahmen bis 2030 eine drastische Reduktion der Verkehrstoten und Verletzten speziell im Radverkehr bis 2030 erreichbar ist. Jetzt bitte auch praktisch umsetzen!

Ein positives Signal kommt gleichsam von der EU: Hier wurde gerade die „Europäische Erklärung zum Radverkehr“ verabschiedet. Sie soll als ein strategischer Kompass für die bestehenden und zukünftigen politischen Maßnahmen und Initiativen zum Radverkehr dienen.

All das gibt Anlass zum Optimismus – passend zum Frühling. Der hebt aktuell die Stimmung von Verbraucher*innen und Fahrradhändler*innen gleichermaßen. Ja, die Fahrradbranche ist immer auch vom Wetter abhängig. Jetzt ist im Handel wirtschaftlich die wichtigste Jahreszeit. Die Fahrradgeschäfte sind in diesen Wochen sehr gut ausgelastet und wem ausgerechnet jetzt einfällt, dass sein Rad dringend eine Inspektion benötigt, darf sich über Wartezeiten nicht wundern.

In diesem Sinne hoffen wir, dass Sie Ihr Fahrrad rechtzeitig wieder in Schuss gebracht haben und nun gleich losradeln können. Genuss gibt´s von der aufblühenden Natur gratis dazu!

Ihr
unterschrift_ah
Albert Herresthal
Informationsdienst Fahrradwirtschaft
Die Themen dieser Ausgabe:
  1. Statt Kauf: Fahrrad-Leasing in vier Jahren verfünffacht
  2. Gewinn und Verlust: Konsolidierung setzt sich fort
  3. E-Bikes und Nachhaltigkeit: Viele kleine Schritte weisen den Weg
  4. Einordnung: Was die Krise positiv bewirken kann
  5. Unfallstatistik 2023: Mehr Verkehrsopfer insgesamt, weniger getötete Radfahrende
  6. Standortpolitik: Landkarte der Fahrradhersteller
  7. IFW exklusiv: 3 Fragen an ... Gunnar Fehlau
  8. Kurzmeldungen
  9. Termine
Nicht nur Dienstrad-Leasing wird immer populärer

Statt Kauf:
Fahrrad-Leasing in vier Jahren verfünffacht

Das Fahrrad-Leasing ist ein noch recht junges Vertriebspflänzchen, erst vor 12 Jahren wurden die steuerrechtlichen Rahmenbedingungen dafür geschaffen. Inzwischen hat es für Industrie, Handel und Verbraucher*innen aber bereits eine enorme Bedeutung erlangt. Nach den neuesten Zahlen wurde 2023 in Deutschland mehr als jedes dritte Fahrrad oder E-Bike geleast. Tendenz: stark steigend.

Der Verbund Service und Fahrrad (VSF) gibt den Anteil der im qualitätsorientierten Fachhandel über das Leasing verkauften Räder mit 36% an. 2019 lag die absolute Zahl der Leasing-Räder noch bei unter 200.000. Im vergangenen Jahr dürfte sie bereits die Millionengrenze überschritten haben.

Bei einem derart boomenden Markt ist es nicht verwunderlich, dass sich hier unzählige Anbieter tummeln. Doch im Leasinggeschäft gibt es bereits klare Marktführer: Zwei Anbieter haben sich an die Spitze gearbeitet und stehen für knapp zwei Drittel der Umsätze. Jobrad (42,3%) und Bikeleasing (22%) sind nach einer Erhebung der BBE-Handelsberatung die größten Anbieter. Ein wichtiger Baustein zum Erfolg sind übersichtliche und einfache Prozessabläufe für die Abwicklung mit dem Händler.
 
In der Branche wird mit einem weiter steigenden Anteil des Fahrradverkaufs per Leasing ausgegangen. Die rechtliche Ableitung des Dienstrad-Leasings vom „Dienstwagenprivileg“ führt zu steuerlichen Anreizen mit großer Wirkung. Perspektivisch ist diese Kopplung für die Fahrradbranche allerdings nicht unproblematisch, weil es eine Abhängigkeit erzeugt. Ob sich das Dienstwagenprivileg für Kfz politisch dauerhaft wird halten können, ist nicht gesichert, denn der Verkehrswende ist es nicht zuträglich – anders als das Dienstrad-Leasing.

Die Anschaffung eines Fahrrads oder E-Bikes per Leasing folgt nach den bisherigen Erfahrungen veränderten Entscheidungskriterien als beim Kauf: Die meisten Leasing-Kund*innen lassen sich bei der Auswahl des jeweiligen Fahrrads mehr von ihren individuellen Wünschen leiten als vom Preis. Es werden dadurch hochwertigere Fahrräder ausgewählt. Zudem werden die Nutzer*innen durch das Leasingsystem an einen neuen Status herangeführt, denn sie sind im rechtlichen Sinn nicht mehr Eigentümer*innen des Fahrrads. Ein weiterer Anreiz für Leasingräder: Sie sind automatisch mit einem umfangreichen Versicherungsschutz ausgestattet. 
Pon.Bike: Bald geht's los im neuen Montagewerk in Litauen.





Gewinn und Verlust:
Konsolidierung setzt sich fort

„Glaube keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast.“ – Dieser schöne Satz macht darauf aufmerksam, mit welch unterschiedlichen Botschaften sich Zahlen interpretieren lassen. Beispiel GIANT, Taiwans weltweit agierender Fahrradhersteller: Das Geschäftsjahr 2023 beendete der Konzern mit einem Umsatzminus von 16,4% bei umgerechnet 2,23 Mrd. Euro. Und für die Merida Industrie Co. ging es beim Umsatz um 26,4% bergab. Landsmann Ideal Bike Corporation traf es mit einem Minus von 34,6% noch schlimmer. Der weltweit agierende niederländische Konzern Accell scheint in Schwierigkeiten: Teile des Managements werden ausgetauscht, ein Teil der Produktion verlagert und in den Niederlanden 150 Arbeitsplätze gestrichen. Dagegen hat sich die Fahrradsparte des auch in Deutschland aktiven niederländischen Pon-Konzerns recht gut behauptet. 2023 erreichte sie einen Umsatz von 2,3 Mrd. Euro, ein Rückgang um 5%. Rose-Bikes (Bocholt) schafft gar ein Umsatzplus von 9%. Der japanische Komponentenhersteller Shimano wiederum büßte im letzten Jahr 29,5% seines Umsatzes in der Fahrradsparte ein. In Deutschland verlor Fahrradreifen Marktführer Schwalbe 2023 gut ein Viertel seines Umsatzes im Vergleich zum Vorjahr.

Die Nachrichten könnte man als ernsthaftes Straucheln einer Branche deuten. Tatsächlich aber handelt es sich eher um einen Konsolidierungsprozess. Die Börse glaubt offenbar ans Fahrradgeschäft: Die Giant-Aktie stieg seit dem Jahreswechsel um 16,3%, die Merida-Aktie um 14,5%, Ideal um 0,6%.

Optimistische Stimmungssignale kommen auch aus dem deutschen Fachhandel: Zwar waren die Umsätze 2023 mit 3-4% leicht rückläufig, aber die Erwartungen für das laufende Jahr 2024 sind positiv: Nach einer Umfrage des VSF erwarten 29% der stationären Händler Umsatzrückgänge, 28% stabile Umsätze, 43% gehen von teilweise deutlichen Umsatzsteigerungen aus. Auch laut Branchenbarometer von Velobiz bezeichnen 45% der Befragten die Geschäftslage als gut, ebenso viele als mittelmäßig, 68% erwarten für die nächsten Monate eine weitere Verbesserung der Lage.

Ausschlaggebend für die aktuelle Lage sind: der kräftige Corona-Boom der Fahrradbranche, der Warenüberhang nach Abflachen des Booms sowie in Europa die inflationsbedingte Kaufzurückhaltung. Inzwischen normalisieren sich alle drei Trends aber wieder: Der Corona-Höhenflug ist nahezu vollständig zurückgegangen, der Lagerdruck hat sich deutlich verringert und die Inflation in Deutschland lag zuletzt nur noch bei 2,3%. Verglichen mit der Zeit direkt vor Corona befinden sich die meisten Firmen, die zuletzt Verluste verzeichneten, im Plus. Und die weltweite Fahrradsaison beginnt nun erst wieder.

Upway-Gründer Toussaint Wattinne und Stéphane Ficaja

E-Bikes und Nachhaltigkeit:
Viele kleine Schritte weisen den Weg

Bei Berichten über Nachhaltigkeit ist stets Vorsicht geboten, denn mitunter dienen sie vorrangig Imagezwecken bis hin zum Greenwashing. Zugleich lässt sich feststellen, dass sich in der Fahrradbranche zahlreiche Entwicklungen abzeichnen, die die Branche insgesamt real „grüner“ machen. Über einige konkrete Punkte berichten wir hier:

Second Life für E-Bikes: Gebraucht statt neu. „Gute gebrauchte“ Fahrräder waren im Fachhandel schon immer sehr gefragt. Durch das E-Bike und besonders auch durch die starke Verbreitung geleaster Elektrofahrräder (Vertragsdauer: drei Jahre) braucht es für die Aufarbeitung der Fahrzeuge jedoch professionelle und spezialisierte Lösungen. Schließlich lässt sich von außen der Zustand von E-Antrieb und Akku kaum beurteilen. Inzwischen wurden in Deutschland eine Reihe von Unternehmen gegründet, die Rückläufer aus dem Dienstrad-Leasing aufarbeiten. Diese sogenannten „Refurbished E-Bikes“ werden mit entsprechenden Garantien angeboten. Damit verringert sich für Käufer*innen das Risiko erheblich, unschöne Überraschungen zu erleben. Diese Sicherheit und die verstärkte Nachfrage nach Second-hand lassen den Markt an „guten Gebrauchten“ erheblich anwachsen. Nach Angaben des Handelsverbands Deutschland (HDE) wuchs der Gebrauchtmarkt in Deutschland zuletzt um 8% im Jahr. Je länger die Fahrräder und E-Bikes aktiv genutzt werden, umso besser im Sinne der Nachhaltigkeit. (Beispiel: E-Bike Refurbisher Upway, siehe Foto)

E-Bike-Akkus: Tauschen statt kaufen. Dass die Produktion von Batterien umweltbelastend ist, ist allgemein bekannt und liegt am extrem hohen Energieverbrauch bei ihrer Produktion, an teilweise toxischen Bestandteilen und am umweltschädlichen Abbau der benötigten Stoffe.
Für eine positive Ökobilanz ist dann zumindest ein langer Lebenszyklus entscheidend. Bereits seit 2020 gibt es in Berlin daher die Firma Swabbee, die Wechselbatterien für leichte Elektrofahrzeuge anbietet, u.a. für E-Bikes und E-Lastenräder. Diese Abo-Services sind vor allem für kommunale oder gewerbliche Nutzer ideal, deren Fahrzeuge auf diese Weise ohne Ladepausen im Betrieb sein können. In diese Richtung steuert jetzt auch Yamaha mit einer Unternehmensgründung in Berlin. In Asien gibt es bereits recht viel Erfahrung mit Batterie-Tauschsystemen. Dort werden Akkus am Ende ihres Lebenszyklusses wieder aufgearbeitet bzw. einem ordnungsgemäßen Recycling zugeführt.

Batterie-Recycling: Haben Sie´s gewusst? Vertreiber von E-Bikes sind schon seit längerem gesetzlich zur kostenlosen Rücknahme von Altbatterien verpflichtet. Die Verwertung hierzulande läuft zumeist über die Firma GRS. Diese gibt an, dass ein Anteil von 70% wiederverwertet werden kann, entweder in neuen Batterien oder als Sekundärrohstoffe. Die Batterieverordnung der EU gibt die zu erreichenden Sammelquoten an. Diese betragen 51% bis 2028 und 61% bis 2031. Das sind ambitionierte Ziele, von denen die Branche gegenwärtig allerdings noch weit entfernt ist. 

Neue Fahrradmodelle werden getestet (VELOBerlin 2024)





Einordnung:
Was die Krise positiv bewirken kann

Kein Zweifel: Die letzten zwei Jahre haben die Branche gebeutelt und der Fahrradwirtschaft viel abverlangt. Erst die Unterbrechung der Lieferketten, die in Verbindung mit dem Corona-Kaufboom zu teilweise leeren Regalen führte, dann das massive Überangebot bei gleichzeitiger (auch inflationsbedingter) Zurückhaltung der Kund*innen. Doch die Krise bringt einige Learnings mit sich, die zu positiven Veränderungen und einer verstärkten Resilienz führen können:

1. Es gibt kein Wachstum ohne Ende und keine sichere Planbarkeit. Unternehmerische Risiken gehören mit zur Wirtschaft. Die Bildung von Rücklagen hilft in der Krise.

2. Interkontinentale Lieferketten und extrem kleinteilige Zulieferstrukturen sind potenziell störanfällig. Lange Transportwege machen unflexibel. Es kann sinnvoll sein, Abhängigkeiten zu verringern, um auf Marktschwankungen schneller reagieren zu können. Mehr standortnahe Zulieferer können dabei helfen.

3. Die massiven Probleme des Fahrradmarkts haben Hersteller/Lieferanten und Fachhändler zu einem Realitäts-Check in Sachen Partnerschaft gezwungen. Das Ergebnis dieser Prüfung waren mitunter eine Neubewertung der Beziehungen und ggf. Konsequenzen.

4. Die Schwierigkeiten der letzten Jahre haben den Herstellern die gewohnten jährlichen Modellwechsel an Fahrrädern unmöglich gemacht. Das hat sich nicht als Nachteil herausgestellt. Erkenntnis: Es braucht nicht jedes Jahr eine komplett neue Modellpalette.

Besonders der letzte Punkt kann positiv nachwirken. Jährliche Modellwechsel waren Herstellern wie Verbraucher*innen zur Gewohnheit geworden, auch wenn die Neuerungen nur marginal waren. Modellwechsel ohne Substanz führen nur zu künstlicher Alterung und Entwertung von „Vorjahresmodellen“. Wenn sich künftig die Erkenntnis durchsetzen sollte, dass Modellwechsel nur dann sinnvoll und gerechtfertigt sind, wenn sie reale Verbesserungen mit sich bringen, dann könnte dies der Fahrradbranche zum Positiven gedeihen.

Unfallstatistik 2023

Unfallstatistik 2023:

Mehr Verkehrsopfer insgesamt, weniger

getötete Radfahrende

Eine gemischte Bilanz legte das Statistische Bundesamt für das vergangene Jahr vor: So ist die Anzahl der Verkehrsunfälle 2023 gegenüber dem Vorjahr um 4,5% gestiegen und liegt nun bei gut 2,5 Millionen. Bei rund 290.000 Unfällen gab es Tote oder Verletzte – ein Anstieg zum Vorjahr. Insgesamt starben bei Straßenverkehrsunfällen 2.817 Menschen, 52.465 wurden schwer und 311.196 leicht verletzt. Das sind insgesamt 29 Tote und 2.527 Verletzte mehr als im Vorjahr.

Die mit Abstand meisten tödlich Verunglückten saßen in einem PKW (1.183). Die zweitgrößte Gruppe der tödlich Verunglückten waren Motorradfahrende (493). Es kamen 444 Radfahrende ums Leben, 30 weniger als im Vorjahr, und 432 Zufußgehende (ein erheblicher Anstieg um 64). 20 der Getöteten waren mit einem Elektrokleinstfahrzeug unterwegs (z.B. E-Scooter). 

Bei den Verletzten liegen wiederum PKW-Insassen vorn (177.582 Verletzte), gefolgt von Radfahrenden (94.117) und Zufußgehenden (28.048).

Fahrerinnen und Fahrer von PKW waren für 62% aller Unfälle mit Personenschaden hauptverantwortlich. Bei knapp 18% waren es Radfahrende, bei jeweils gut 5% LKW-Fahrende und Motorradfahrende. 2,8% aller Unfälle mit Personenschaden wurden von Fußgänger*innen hauptverursacht, 2,1% von Elektrokleinstfahrzeug-Nutzenden. (Hauptverursacher von Unfällen mit Personenschaden)

Die Unfallstatistik differenziert seit einigen Jahren Radfahrende in Pedelec und „Fahrrad ohne Hilfsmotor“. Gegenüber 2020 gab es hier deutliche Verschiebungen, die sich daraus erklären, dass die Anzahl der Pedelecs im Straßenverkehr zugenommen hat, während aktuell weniger unmotorisierte Fahrräder unterwegs sind. Insgesamt zeigt die Unfallstatistik jedoch eine immer noch erschreckend hohe Anzahl von Verkehrsunfallopfern. In Deutschland sterben jeden Tag acht Menschen bei einem Verkehrsunfall und 1.000 werden täglich verletzt. Von jedem einzelnen Verkehrsopfer sind nach einer Studie des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) 113 Menschen unmittelbar betroffen (mehr zu psychischen Folgen von direkt oder indirekt Betroffenen). Von der „Vision Zero“ scheint Deutschland noch sehr weit entfernt. 

Eine neue Studie im Auftrag des Verkehrsministeriums von Baden-Württemberg zeigt auf, dass eine deutliche Reduktion schwerer Radverkehrsunfälle vor allem mit einer verbesserten Infrastruktur und angepassten Verkehrsregeln (Tempolimit von 80km/h auf Landstraßen und 30km/h innerorts) möglich ist. Die Studie gibt konkrete Hinweise, wie im Radverkehr eine Verringerung der Zahl der Verkehrstoten um 60% und der Verletzten um 40% bis 2030 erreicht werden kann.
Unternehmenslandschaft Fahrradherstellung Deutschland





Standortpolitik:
Landkarte der Fahrradhersteller

Wo sich die Unternehmen der Fahrradwirtschaft konkret befinden, ist für die Kommunen in Deutschland im Hinblick auf ihre Gewerbesteuereinnahmen von entscheidender Bedeutung. Einen guten regionalen Überblick von Herstellern findet man in einer IAT-Studie, wobei hier nur Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten erfasst sind. Ergebnis: Es gibt Schwerpunkte mit vielen Fahrrad- oder Komponentenherstellern, aber auch „weiße Flecken“. Beispielsweise gibt es in Mecklenburg-Vorpommern gar keine Hersteller dieser Größenordnung, hingegen eine deutliche Häufung in Nordrhein-Westfalen, im nördlichen Teil von Rheinland-Pfalz und in Südhessen. Die Unternehmenslandschaft der Fahrradproduktion ist klein- und mittelständisch geprägt. Das Spektrum reicht von Tüftlern bis zu hochwertigen Massenherstellern, die häufig Bestandteil von international agierenden Konzernen sind. In Deutschland gibt es elf Hersteller von Elektromotoren für E-Bikes, die sowohl von der hohen Inlands- als auch Auslandsnachfrage profitieren. 

Die Verteilung der Fahrradhersteller auf das Gebiet der Bundesrepublik hat teilweise historische Ursachen. So waren traditionell Bielefeld, Frankfurt am Main und Dresden/Chemnitz Zentren der Fahrradindustrie. Diese Konzentrationen gibt es heute so nicht mehr. Inzwischen sind die Ansiedelungen mehr auf gezielte Förderungen der Länder zurückzuführen. Mit einer aktiven Standortpolitik lässt sich viel Wirkung erzeugen.

Informationsdienst Fahrradwirtschaft exklusiv:

3 Fragen an ...

Gunnar Fehlau
Gunnar Fehlau war beruflich bereits in vielen Rollen in der Fahrradbranche aktiv. Im August 2003 gründete er den Pressedienst Fahrrad, eine Nachrichtenagentur rund ums Thema Fahrrad
IFW: Vor gut 20 Jahren haben Sie den Pressedienst Fahrrad (pd-f) gegründet. Welche Ziele verfolgen Sie damit?

GF: Es geht darum, dem Fahrrad auch in der öffentlichen Wahrnehmung den Platz zu geben, den es verdient. Die Medien spielen dabei eine wichtige Rolle. Deshalb sind wir im März 2004 zum ersten Mal auf „Fahrradfrühling“-Tour gegangen. Fahrrad will erlebt werden, will ausprobiert sein und Unterschiede können erfahren werden, genau dafür gibt es die Fahrradfrühling-Termine: Medienschaffende können direkt vor Ort Räder erfahren, Fragen stellen und ihre Recherchen durchführen.

IFW: Mit dem pd-f haben Sie sich zur Aufgabe gemacht, die Medien und damit die breite Öffentlichkeit über Fahrradthemen zu informieren. Was interessiert die Leute am meisten?

GF: Die wichtigsten Themen sind Verkehrswende, Lastenräder/Gepäcktransport, Gravelbikes, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Der Zugang der Medien zum Thema Fahrrad hat sich in der gleichen Weise verändert, wie sich das Fahrrad selbst verändert hat. Beim den ersten Fahrradfrühling-Terminen "mussten" wir Journalist*innen noch vermitteln, warum Fahrrad an sich überhaupt ein berichtenswürdiges Thema ist. Zu dieser Perspektive passte auch die Preisakzeptanz. Viele Medienschaffende haben es nicht für möglich gehalten, dass Fahrräder mehr als 500 Euro kosten.
Dabei müssen wir immer im Hinterkopf haben, dass die Lebenswirklichkeit vieler (Lokal)Journalist*innen oft nicht sehr fahrradfreundlich ist. Das Pedelec war auch hier ein Gamechanger: Plötzlich war das Fahrrad rundum "gesellschaftsfähig" und anschlussfähig zu nahezu jedem Lebenskontext/-stil. Damit stieg die gesellschaftliche Akzeptanz und in dessen Folge der Nachrichtenwert aus medialer Perspektive.

IFW: Welche Kommunikationswege hat der pd-f mit den Jahren entwickelt, um seine Informationsaufgabe zu optimieren?

GF: Ein Fugger hat mal gesagt, die beste Sprache ist die Sprache der Kunden. Und so ähnlich handeln wir beim pressedienst-fahrrad, wir versuchen mit Medienschaffenden auf "ihren" Kanälen in Kontakt zu treten. Eigentlich kommen immer mehr (digitale) Kanäle hinzu. Einzig das Fax ist bei uns wirklich verschwunden. Ansonsten haben sich Formate, Themen, Zugänge und Textlängen verändert und Bilder und Bewegtbild gewinnen weiter an Bedeutung. Es geht darum die Prozesse effizient und effektiv zu halten, teilweise auch zu automatisieren, damit in der Konsequenz Zeit für individuelle Gespräche/Kontakte mit Medienschaffenden bleibt.

Kurzmeldungen

Burkhard Horn
Kopf des Monats
Er ist ein ehrlicher Makler für die Verkehrswende mit schier unermüdlichem Engagement. Burkhard Horn, selbständiger Verkehrsplaner und Experte für Moderationsprozesse im Verkehrsbereich, ist mehr an konkreten Ergebnissen interessiert als an Schlagzeilen. „Vision & Pragmatismus“ nennt er seinen Ansatz. Ausgangspunkt seines Handelns ist die Erkenntnis, dass man die Verkehrswende nicht einfach beschließen kann, sondern Menschen dafür gewinnen muss. Burkhard Horn war bereits in den meisten größeren Städten Deutschlands aktiv und ebenso für das Bundesverkehrsministerium sowie international. So viel guten Geist, Understatement und Expertise wollen wir hier einmal ehren als „Kopf des Monats“!
Fahrrad-Pannenhilfe
Fahrrad-Pannenhilfe kommt an
Die ADFC-Pannenhilfe ist seit 2016 im Beitrag der 235.000 Mitglieder des Fahrradclubs enthalten und bietet ihnen die Sicherheit, im „Falle eines Falles“ fachgerechte Unterstützung zu bekommen. 2022 zog nun der ADAC nach und bietet seinen 21 Mio. Mitgliedern ebenfalls den Service. Die Bilanz des Automobilclubs: Innerhalb von anderthalb Jahren gab es gut 21.000 Einsätze, bei denen knapp 15.700 Fahrräder wieder flott gemacht werden konnten. Ein „Plattfuß“ war mit 69% der häufigste Schadenfall. Probleme mit der Kette gab es bei 8%. Die Elektrik von E-Bikes verursachte 5% aller Pannen. Im Hinblick auf die Mitgliederzahlen wird der Pannenservice des ADFC gut zehnmal so häufig genutzt wie der des Autoclubs ADAC. 
Zahl des Monats: knapp 118 Milliarden Euro durch die nachhaltige Mobilitätswirtschaft
Zahl des Monats
Nicht nur die Automobilindustrie hat hierzulande ökonomische Relevanz, sondern auch die nachhaltige Mobilitätswirtschaft. Eine aktuelle Studie im Auftrag von vier Verbänden aus den Bereichen Bahn, ÖPNV, Carsharing und Fahrrad belegt nun eine Wertschöpfung von 117,6 Milliarden Euro durch die nachhaltige Mobilitätswirtschaft. 1,7 Millionen Voll- und Teilzeitbeschäftigte profitieren von den direkten und indirekten Beschäftigungseffekten dieses Bereiches. Dadurch werden Einkommen in Höhe von insgesamt 66,8 Milliarden Euro generiert. (Studie zur nachhaltigen Mobilitätswirtschaft)
Bild des Monats
Bild des Monats: Das Fahrrad auf der Europäischen Bühne in Brüssel: Am 3. April wurde hier im Rahmen eines Treffens der Verkehrsminister*innen der EU-Staaten die European Declaration on Cycling feierlich unterzeichnet. Die gemeinsame Erklärung von Rat, Kommission und Parlament der EU enthält 36 Punkte zur Förderung von Radverkehr und Fahrradwirtschaft, zu der sich die Unterzeichnenden verpflichten. Aus der Erklärung (hier in Deutsch): „Unser Ziel ist es, das volle Potenzial des Radverkehrs in der EU auszuschöpfen. In dieser Erklärung wird das Fahrrad als eines der nachhaltigsten, zugänglichsten und inklusivsten, günstigsten und gesündesten Verkehrsmittel und Freizeitbeschäftigungen sowie seine zentrale Bedeutung für die europäische Wirtschaft und Gesellschaft anerkannt.“

Termine

  • Die internationale Spezialradmesse „Spezi“ findet am 27. und 28. April 2024 in Lauchringen statt. Hier werden innovative Mobilitätslösungen für alle Zwecke präsentiert. 

  • Vom 26. bis 28. April gibt es im Münchner Olympiapark die Möglichkeit, im Rahmen der „E BIKE DAYS“ Elektrofahrräder aller Art nach Herzenslust zu testen.
     
  • Am 23. Mai ab 10 Uhr findet im Rahmen der Mobilitätsmesse polisMOBILITY (22.-23.5.) der AGFS-Kongress unter dem Motto „EINFACH x EINFACH“ in Köln statt. Um 17 Uhr wird der Deutsche Fahrradpreis 2024 verliehen.

  • Vom 24. bis 26. Mai ist im Hochsauerland beim Willingen Bike Festival wieder Mountainbiking angesagt. 
  • Am 25. Mai beginnt in der Eissporthalle Frankfurt die zweitägige Messe Velo Frankfurt
  • Die aktuelle Sitzungswoche des Deutschen Bundestags läuft gerade, weiter geht es dann in der Pfingstwoche vom 13.-17. Mai. Die aktuelle Sitzung des Bundesrats ist am 26. April, danach wieder am 17. Mai. Die Ausschüsse des Bundesrats tagen in KW 18.

  • Der nächste Newsletter Fahrradwirtschaft Insight erscheint am 28. Mai.

Team Fahrradwirtschaft Insight

Team Fahrradwirtschaft Insight
Herausgeber des Newsletters ist Albert Herresthal. Durch seine langjährige Tätigkeit als Geschäftsführer des Verbund Service und Fahrrad (VSF e.V.) ist er mit den relevanten Köpfen aus Politik, Verwaltung und Fahrradwirtschaft bestens verbunden. Er ist für das Konzept und die inhaltliche Ausgestaltung verantwortlich.

Auch Hendrikje Lučić (links) verfügt über langjährige Erfahrung in der politischen Arbeit. Seit 2021 verantwortet sie die Politische Interessenvertretung beim Bundesverband der Deutschen Sportartikel-Industrie (BSI). Sie ist für die inhaltliche und strategische Ausgestaltung des Newsletters mitverantwortlich.

Anne Kreidel ist Fundraiserin und hat lange im Marketing und in der Öffentlichkeitsarbeit gearbeitet. Sie ist in Unternehmen, in Fahrrad- und Kulturorganisationen tätig. Im Team Fahrradwirtschaft Insight übernimmt sie die Umsetzung und den Versand des Newsletters.
Fotonachweise in der abgebildeten Reihenfolge: 1. Ortlieb / pd-f, 2. Pon.Bike , 3. Upway, 4. VELOBerlin 2024 / Stefan Hähnel, 5. itsmybike / pd-f, 6. IAT © GeoBasis-DE / BKG (2023) , 7. Frank-Stefan Kimmel / pd-f, 8. Burkhard Horn, 9. ADAC, 10. Bündnis nachhaltige Mobilitätswirtschaft / CONOSCOPE GmbH, 11. EU, 12. Teamfoto: Antonia Richter
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